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Quo vadis, Kunsthandwerk im digitalen Zeitalter? Ein Symposium unter diesem anspruchsvollen Titel fand Anfang November 2014 im Münchner Stadtmuseum, im Rahmen der Ausstellung „Ab nach München“ statt. Es wurde vom Bayerischen Kunstgewerbe Verein mit Unterstützung der Danner-Stiftung veranstaltet. Das vorliegende Buch umfasst die 12 Textfassungen der Beiträge zu diesem Symposium

Angesichts der sogenannten digitalen Revolution ging es – laut Veranstalter – um eine Standortbestimmung gegenüber diesen Fragekomplexen:
„Wo stehen Kunsthandwerk, Angewandte Kunst, Kreativhandwerk – oder wie auch immer man diese Form der menschlichen Tätigkeit nennen will – in unserer Gesellschaft?
Bedeutet die digitale Welt das Ende der Hand-Werks-Kunst?
Oder sind PC und 3D-Drucker einfach nur neue Werkzeuge für den Kunsthandwerker?
Verringern die auf Tastendrücken und Displaywischen reduzierten Fingerbewegungen unsere manuellen oder sogar mentalen Fähigkeiten? Für unsere Kinder wären die Folgen alarmierend.
Bietet das Internet vor allem neue Möglichkeiten der Selbstvermarktung, der kollegialen Kommunikation, der schnellen Information?
Wo steht das Kunsthandwerk angesichts immer preiswerterer Alltagsgegenstände?
Welche Folge hat die Streichung der Angewandten Künste aus den Lehrprogrammen der Kunstakademien?

Die eingeladenen Referenten, angesehene Fachleute verschiedener Richtungen und bekannte Akteure in der Szene, widmeten sich dem Thema überwiegend mit Skepsis. Ihre Kompetenzen, ihr Sachverstand und ihre tiefe Kenntnis der Materie führt den Leser wahrhaftig in eine Denkschule von eindrucksvoller intellektueller Dimension. Sie alle beeindrucken uns mit ihrem grandiosen Wissen und ihrer Reflektiertheit zum Thema, allerdings hartnäckig überschattet durch den ewig währenden Hierarchien-Streit zwischen freier und angewandter Kunst. Und als überwiegend 1940ger Jahrgänge können sie die Konsequenzen digitaler Zukunftsentwicklungen – wenn überhaupt – nur als Bedrohungsszenario zeichnen. Dennoch sind alle Aufsätze besonders lesenswert. Ebenso lehrreich wie anschaulich entfalten sie die diversesten Facetten kulturhistorischer, sozialer und philosophischer Aspekte von Kunsthandwerk und Design.

Nur die Antwort auf die Frage „Quo vadis, Kunsthandwerk im digitalen Zeitalter?“ blieben sie allesamt schuldig. Allein Renate Luckner-Biehn, von 1993 bis 2014 Leiterin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle wagt, anhand einer konsequenten Analyse der jüngsten Entwicklungen, den optimistischen Blick in die Zukunft. Sie weckt große Neugier und Erwartung mit ihren Ausführungen.

Spannend auch der Beitrag von Beat Wyss, Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, der mit seiner differenzierten Betrachtung über die Grabenkämpfe der freien und angewandten Künste hinaus – und damit zurück auf Vasaris Erkenntnis führt: “Erste der Diskurs um die Werke sichert die Autorenschaft des Künstlers, als Individuum auf der Ebene von Autorenschaft.“

Schliesslich fand ich persönlich noch den naturwissenschaftlichen Blick des Neurologen Nicolaus König besonders spannend, der nicht nur ausführlich darstellt, „dass Handbewegungen naturgegebenermaßen Ausdruck geistiger Tätigkeiten des Hirns sind.“

Diese Sammlung kluger Aufsätze vermittelt ein Wissen, auf dessen Basis die Debatte um die Zukunft von Kunsthandwerk, Angewandter Kunst, Kreativhandwerk sachlich und konstruktiv weiter geführt werden kann und sollte – gerade von den jüngeren Generationen, deren Stimmen im Kontext dieses Symposiums leider fehlten.

Handwerk – Denkschule der Evolution
Quo vadis, Kunsthandwerk im digitalen Zeitalter?
Nr. 70 der Schriftenreihe
des Bayerischen Kunstgewerbevereins e.V.
Publikation der Vorträge des Symposiums
vom 7.- 8. November 2014 im Münchner Stadtmuseum
128 Seiten, broschiert.
ISBN: 978-3-929727-69-2